Wo bin ich?
An der Wurzel meines kognitiven Lebens und Strebens liegt ein grundlegendes Gefühl des Unverständnisses. Es ist eine meiner ersten auf mich selbst bezogenen Erfahrungen. Ich war 4 oder 5 Jahre alt, lag im Bett und bekam 'online'. Ich habe freilich auch andere, frühere Erfahrungen, aber die waren auf etwas anderes, die Welt um mich herum, und mein Handeln in der Welt gerichtet. Mein erstes Selbst-Gefühl, meine erste Selbsterfahrung aber, in der ich mich als selbst-erfahrendes Wesen erfahre, ist jenes Gefühl der Ratlosigkeit, und des Unvermögens, mein eigenes 'Da-Sein' zu verstehen. Zu verstehen, warum 'Ich' im Epizentrum meiner Erfahrung stehe, warum die Welt um 'mich' herum geschieht, und warum die Welt eben auf eine bestimmte Art um mich herum geschieht. Wie ein Quellcode oder ein Betriebssystem hat diese erste meiner Selbsterfahrung all meine späteren Handlung beeinflusst, wenn nicht offen bestimmt.
Wenn ich versuche, dieses Gefühl oder diesen Seinszustand zu beschreiben, geht notwendigerweise Information verloren. Ich frage mich in solchen Momenten nicht wirklich innerlich-verbal 'warum?', wenn ich es jetzt hier etwa mit 'warum-muss-ich-das erleben?' beschreibe. Ich erfahre hauptsächlich das Gefühl oder den Seinszustand der Perplexität. Und wenn ich dieses Gefühl oder diese Erfahrung des 'warum-muss-ich-das-erfahren?' habe, meine auch nicht notwendigerweise schlechte Erfahrungen, sondern nur, dass da gewisse Erfahrung sind, die gleichermaßen Einfluss auf 'mich' haben, als auch dass da eine gewisse Zeugeninstanz ist, die das alles beobachtet. Sehr seltsam das Ganze.
Wir alle kennen diese Fragen: Warum existiere 'ich', warum existiere ich in dieser bestimmten Weise? Warum, um dieses sonderbare Erfahrungsgefühl sprachlich weiter einzugrenzen, ist da dieser eine Geschmack dessen, was ich als Selbst oder Ich am Kern meines Seins identifiziere. Woher kommt dieser Geschmack, und wie kommt er zustande? Dieses Gefühl, dass ich nur schlecht in Worten beschreiben kann, birgt auch eine gewissen Anteil Faszination an dem Ganzen an sich. Aber vor allem auch das Gefühl, dass es nicht in meiner Verantwortung lag, zu entstehen, noch zu sein. In gewisser Hinsicht ist es so wie 'in die Welt geworfen zu sein', ohne dafür verantwortlich zu sein. Ich erfahre mich im Wesentlichen als Vermittler, der zwischen diesem Geschmack oder Kern und der Welt steht. Beides liegt außerhalb meiner Kontrolle. Was ich tun kann, ist zu lernen, diesen Kern irgendwie immer konkreter in die Welt zu bringen, wie auch zu versuchen, nicht automatisch die Welt oder mich selbst auf eine bestimmte Weise zu interpretieren. Meine eigenen Überzeugungen stets zu hinterfragen, um mit Metzinger zu sprechen. Ich kann alles hinterfragen, nur dieses eine Gefühl, diesen Kern nicht. Er besteht. Nur wieso er dies tut, kann ich nicht sagen.
Nochmal: Wieso existiere 'ich' in der Weise, in der ich existiere, im Epizentrum von Allem? Ich bin mir jetzt freilich der narzistischen Haltung dieser Position bewusst, und auch wenn ich weiß, dass alle anderen Menschen theoretisch und notwendigerweise dasselbe Gefühl teilen, erklärt dies doch keineswegs das Dasein meines spezifischen Selbst-Kernes als Zentrum und Vortex meiner Erfahrung. Warum, um es so narzistisch wie möglich auszudrücken, dreht sich alles in meiner Erfahrung um mich? Wer hat das so angelegt? Das allgemeine Design dieser Angelegenheit ist höchst verwunderlich, denn das Soziale ist dann im Wesentlichen eine Ansammlung von nach innen und außen zirkulierenden Vortexen, deren Überschneidungspunkte wir Kommunikation nennen.
Und nochmal: Warum muss ich all die Dinge auf die Weise erfahren, wie ich sie erfahre. Warum bin 'ich' nicht in Indien aufgewachsen, oder bin einer der ersten Siedler Amerikas. Dies ergibt aus gewisser Hinsicht keinen Sinn. Denn ich erfahre, dass dieser subjektiv-existentielle Kern eben nicht von der Kultur oder dem Zeitgeist 'gemacht' ist. Er erscheint mir ewig, wie ein Stern ewig ist. Natürlich existiert ein Stern nicht ewig. Aber er hinterlässt eine kosmologische Signatur, das Ganze ist nur durch die Menge von Signaturen denkbar. Insofern ist er unendlich.
Nun versuche ich das Ganze - diesen Kern, dieses Gefühl - zu verstehen, und je weiter ich komme, umso mehr ich studiere, um so unverständlicher wird es. Diese Entität, sich scheint sich immer dem Mental-Symbolischen zu entziehen. Es ist ungefähr dasselbe, wie die Buchstabenfolge 'R-O-T' oder die Beschreibung der Röte als 650 nm Wellenlänge niemals die wirkliche Erfahrung der Röte berührt, nur dass es sich auf mich selbst bezieht. Ich studiere Philosophie und Psychologie und Spiritualität und Religion und Biologie und Physik, aber es wird nicht klarer. Jedes Mal, wenn ich eine 'Erklärung' gefunden habe, taucht wenig später dies 'Gefühl' in neuer und unbekannter Art auf und zwingt mich damit auseinanderzusetzen, dass meine schöne Erklärung plötzlich gar nichts mehr taugt. Aber das Gefühl, nicht zu verstehen, warum ich in dieser seltsamen Weise bin, bleibt. Es treibt mich an. Und es wird es auch stärker, klarer, und definiert meine Existenz. Ich kann damit besser umgehen, es mehr in den Alltag überleiten, ins Soziale, ins Reale. Vielleicht ist es auch einfach etwas, was jeder erfährt, und misst dem einfacher weniger Bedeutung zu. Vielleicht aber ist das Ganze auch eine selbst-referenzielle Illusion, die mich beschäftigt hält, entstanden aus den Zirkelläufen des Geistes und Gehirns. Vielleicht sind die sogenannten 'Stars' - die Sterne in der Wissenschaft, Philosophie oder Kunst - einfach nur Leute, die 'Naturals' in dem Sinne sind, als das sie diesen Selbstgeschmack einfach in der Welt ausdrücken können. Fragen über Fragen.
Und eine Frage, die damit auch immer verbunden ist ist: Wo bin 'ich' denn eigentlich? Wie angedeutet, mit 'ich' meine ich in dem Fall nicht jenen egoischen Zeichenprozess, der auf sich selbst zeigt, sondern jenen Kern oder Geschmack am Herzen meines Seins. Hier in dieser Raum-Zeit ist er jedenfalls nicht.