Narrative der Spiritualität: Nicht-Bindung

Eines der eher grundlegenderen Narrative der Spiritualität ist das Konzept, ohne Bindung, d.h. ohne die Hoffnung auf Resultate, arbeiten zu können. Jeder kennt dieses Narrativ, wir finden es in praktisch allen religiösen Traditionen, und auch die New Age-Bewegung verbreitet dieses Narrativ fleißig. Dieses Narrativ ist deshalb so interessant, weil es eines der wenigen Narrative ist, die einem Ausstieg aus dem narrativen Denken selbst mitliefern. Zum Großteil vermitteln Narrative Weisen des In-der-Welt-Seins. Dieses Narrativ aber zeigt eher auf eine Form der Indifferenz, wobei diese Indifferenz (scheinbar paradoxerweise) stets mit einer besonderen Art von Verantwortung einhergeht.

Luther etwa wusste um die Macht dieses Narrativs, als er sagte, man müsse arbeiten, und es käme nicht auf die Arbeit an oder den Nutzen, den man daraus zieht. Man müsse zur Ehre Gottes arbeiten. Überhaupt erwähnt das Neue Testament vermehrt das Prinzip der Ungebundenheit in Bezug auf Sexualität, Geld, Arbeit, Almosen und das ganze eigene Leben mehrfach.

Im Hinduismus finden wir die gleiche Vorstellung, dass man sich weder um die Zukunft noch um die Vergangenheit kümmern sollte, während man gleichzeitig in der Welt verantwortungsvoll handelt. Dieses Prinzip der Bindungslosigkeit oder Indifferenz wird Vairagya genannt, also jenem wahren und ultimativen Zustand, des in-dem-Moment-sein-Könnens. So heißt es in der Bhagavad Gita: Richte Dein Herz auf Deine Arbeit, aber niemals auf den Verdient. Arbeite nicht für den Verdienst, aber beende auch niemals Deine Arbeit.

Im Buddhismus heißt dieses Narrativ nekkhama, was u.a. bedeutet, sich von Lust, Begierden und Verlangen zu befreien. Milarepa, einer der berühmtesten tibetanischen Poeten und Yogis, betonte in seinen Schriften immer wieder die Notwendigkeit von Nicht-Bindung.

Das Tao Te King schreibt:  Der Name oder die Person: was steht näher? Die Person oder der Besitz: was ist mehr? Gewinnen oder verlieren: was ist schlimmer? Nun aber: Wer sein Herz an andres hängt, verbraucht notwendig Großes. Wer viel sammelt, verliert notwendig Wichtiges. Wer sich genügen lässet, kommt nicht in Schande. Wer Einhalt zu tun weiß, kommt nicht in Gefahr und kann so ewig dauern.

Und von Mohammed ist schließlich überliefert:  Was habe ich zu tun mit weltlichen Dingen? Meine Verbindung mit der Welt gleicht der eines Reisenden, der für eine Weile im Schatten eines Baumes liegt und dann weitergeht. Sich nicht an Dinge zu binden ist die wahre Quelle von spiritueller Erfüllung und wird hier tawwakul genannt.

Wir sehen, dass es sich dabei um mehr oder weniger dasselbe Narrativ handelt, wiewohl es in seiner Ausformulierung kulturell unterschiedlich ist. Ein Schwerpunkt dieses Narrativs scheint der Bezug auf Arbeit zu sein. Tatsächlich, und dies mag dem Alter dieses Narrativs geschuldet sein, kann man es auf viele, wenn nicht alle Aspekte des Lebens anwenden. Denn wo kommt Bindung nicht am besten zum Ausdruck, als in den eigenen Meinungen, Ansichten, Perspektiven, Überzeugungen, Glaubenssätzen und Weltsichten? Arbeit ist, dass wissen ja nun seit ein paar Jahren, ja nicht nur die Tätigkeit, die wir mit unseren Händen durchführen. Als empfindsamer und spiritueller Postmoderner können wir den Begriff der Arbeit dekonstruieren und auf alle Formen der Achtsamkeit und Aufmerksamkeit auf Inneres anwenden, des bewussten Denkens und Fühlens. Was geschieht, wenn man auch hier beginnt, sich nicht so sehr an diese Formen zu binden?

Wir alle binden uns gerne an die Hoffnung an Resultate, sei es in der weltlichen Arbeit, sei es in der spirituellen Praxis selbst, sei es in Bezug auf unser Denken und Fühlen. Und man sollte beispielsweise bei einer evolutionären Spiritualität, wie sie aus Amerika kommt, aufpassen, dass das das Ego und die Bindung an das Resultat nicht heimlich wieder eingeführt wird, nämlich als Konzept der verwirklichten Evolution: Wir sind einen Schritt weiter, die Edge of Evolution! Kann es darum gehen?

Eine Spiritualität, die sich im Übrigen von ihren religiösen, und damit auch institutionellen Zwängen befreit und sich als das verwirklicht, was Sloterdijk Anthropotechnik nannte, arbeitet ganz bewusst mit solchen Narrativen und versucht, diese bewusst einzusetzen. Dann kommen wir dahin, was der andere deutsche Philosoph, Thomas Metzinger, mit interlektueller Redlichkeit (als Aspekt der Spiritualität) bezeichnete: Nämlich seiner eigenen Meinung durchaus misstrauen zu können.

Kurz: Das heißt es geht bei diesem Narrativ immer darum, die Identifikation mit bestimmten Narrativen lösen zu können ...

Tom AmarqueComment