Lissabon II
Antonio ist ein alter Bilderbuch-Portugiese, ein Gentleman der alten Klasse. Mit seinen Mitte Siebzig ist er immer noch flink im Geist, er ist Professor für Geschichte, unterhält immer noch eine Radioshow und wird zu Psychologen-Kongressen zum Thema Sex in den Zeiten und Kulturen eingeladen. Er erzählt mir – während er mir ein Stück von seinem Pulpo, das heißt Oktopus, rüberreicht, den es hier im Restaurant nur Samstags gibt –, dass er für ein paar Tage nur italienisch sprechen konnte, nachdem er LSD genommen und im Kino Fellinis Satyricon gesehen hatte. Der Pulpo ist köstlich.
Nach dem Essen kehre ich an meinem Schreibtisch zurück. Ich habe einen guten Tag, was das Schreiben angeht.
Abends zieht es mich wieder ins Zaratan, heute werden die Zyklen mit drei Konzerten beendet. Ich stehe wieder in dem alten Kohleraum, drei Studenten fummeln an ihren elektronischen Geräten herum und versetzen mich mit ihren Ambient-Sounds in einen traumähnlichen Zustand. Ich frage mich, ob das Träumen von dem normalen Wachzustand wirklich so verschieden ist. Vielleicht ist das Wach-Sein einfach nur jene Traumrealität, mit der wir einigermaßen wissen umzugehen. Immerhin müssen es dieselben psychischen Prozesse sein, die diese subjektiven Wirklichkeiten hervorbringen. Ich erinnere mich daran, was Matthias Thiele einmal sagte, nämlich, dass es eine interessante geistige Übung ist, die Wach-Wirklichkeit wie einen Traum zu behandeln und sich zu fragen: Was will wir diese Wirklichkeit (also dieser Traum) sagen? Ich blicke mich um und bemerke plötzlich, dass einer der DJ´s den sieben-spitzigen Stern von BABALON auf seinem T-Shirt trägt. Was soll das bloß bedeuten? Klar, Crowley und Pessoa haben sich hier mal getroffen. Ist der einzige Unterscheid zwischen Träumen und Wachen, dass beim Letzterem tatsächlich jemand auf der anderen Seite steht?
Später ziehe ich mit Chau, einem Studenten aus Bejing, durch die Gassen Lissabons. Lissabon erodiert.
Ich bemerke den universitären Virus, der sich auch in Chaus Weltsicht und Weltsicht eingeschlichen hat. Es ist dieser verdammte französische postmoderne Bullshit, der ihn verdreht und krank macht. Ich überlege mir, eine Bewegung zu starten. Ideologien erkennt man daran, wenn man nur mit der Hälfte der Wahrheit konfrontiert wird. Wie in: Wie zerstören unsere Umwelt und die Natur. Sicher, stimmt. Aber was ist damit, dass die Natur uns zerstört? Dass wir alt und krank werden und sterben und Kälte nicht gut aushalten können? Schon mal in Canada oder Norwegen gelebt? Wir gewinnen unser Überleben, indem wir die Natur zurückdrängen und zerstören. Beide Aspekte zusammen bilden die Wahrheit! Anderes Beispiel für postmoderne Ideologie: Gender ist ein reines soziales Konstrukt! Sicher, es sind geistige und soziale Kategorien. Aber was ist mit der harter Biologie, mit XX und XY Chromosomen, mit Testosteron, unterschiedlicher Hirnentwicklung und infolgedessen unterschiedlichen Weltwahrnehmungen? Wahrheit heißt, eine ausgeglichene oder ausgewogene Haltung haben zu können. Noch andere Beispiel: Unser Kultur ist patriachal und steht für Unterdrückung und Macht. Ja, na klar, stimmt schon. Aber wer sagt das? Die postmodernen Zensoren der öffentlichen Meinung, die selbst an die Macht wollen! Die sich erheben und ‚Sexismus!‘ und ‚Unterdrückung!‘ schreien, sobald sie irgendjemanden entdecken und ihren Ansprüchen nicht genügt, und so den Diskurs bestimmen! Die Genderfluidity Leute, die die Macht der Kommunikation an sich reißen, wenn man in dualen Mann/Frau-Beispielen spricht. Kommunikation ist immer Macht, das ist die Wahrheit, Diskurs immer Gewalt. Ich meine, wie intellektuell armselig muss man sein, in der Unterdrückung durch das Patriarchat die singuläre Ursache für das Leid der Welt zu sehen? Und die Grenze wird erreicht, wenn der aufrechte Gang plötzlich als soziales Konstrukt des Mensch-Seins erklärt wird und als Unterdrückung jener Minderheiten, die mit Anomalien geboren wurden. Ich scherze nicht, soweit sind wir gekommen!
Deshalb: Wenn immer Du es mit Ideologien von Links zu tun hast, mit dem schwachsinnigen französischen postmodernen Bullshit, dann rufe aus: „FPB, Mann!“, und erkläre deinem Kontrahenten so eindrücklich wie möglich - denn es ist wichtig, sowohl geistig wie auch emotional so anstößig wie möglich zu sein - dass er nicht die Wahrheit spricht, und dass es einen Gegenseite zu seiner ideologischen MEINUNG gibt. FPB, Mann! FPB.
Die Wirklichkeit, das ist die Wahrheit. Eine Ideologie ist immer der LSD-hafte Traum, die verdrehte Sprache, die sich nicht mit der Wirklichkeit auseinanderzusetzen vermag. FPB, Mann!