Lissabon III

Eine der Ideen von Piaget war es, dass wir zunächst die Dinge ausleben, bevor wir sie verstehen. Ein Baby lernt seinen Körper zu benutzen, bevor es seine Bewegungen beschreiben kann; es lernt, mit anderen Kindern zu spielen, bevor es die Regeln des Spiels ausdrücken kann; kulturgeschichtlich haben wir gewissermaßen bestimmte immer wiederkehrende Verhaltensweisen in Form von Götter- und Heldengeschichten ausgedrückt, bevor wir ihren psychologischen Gehalt verstehen konnten; wir träumen, bevor wir den Aussagegehalt dieser Träume begreifen; und manchmal streiten wir uns mit einem Partner, ohne genau zu wissen, wieso, weil etwas ganz anderes an uns nagt, was noch nicht in unser Bewusstsein getreten ist.

Daran können Beziehungen scheitern.

Die Dinge sind insofern immer zur Hälfte gewusst, und zur Hälfte nicht gewusst. Jung etwa sagte, dass wir alle einen bestimmten Archetypen ausleben, und dass es nützlich ist, zu wissen, welcher Archetyp es ist; schließlich will man sich nicht in einer Tragödie wiederfinden.

Ich schreibe hier ein Buch über die Natur der Spiritualität. Ich verstehe, dass wir noch gar nicht recht wissen, um was es sich bei der Spiritualität wirklich handelt. Es ist halb gewusst und halb nicht gewusst. Klar, es geht irgendwo um Selbst-Transzendenz. Aber man frage einmal einhundert Leute, was sie unter ‚Spiritualität‘ jenseits von ‚Selbst-Transzendenz‘ verstehen, und man bekommt einhundert Antworten. Es ist, als realisiert man langsam, was einen stört, man sucht mit 1000 Worten nach der Lösung, aber es ist noch nicht klar, noch nicht expliziert. Sinnigerweise gibt es noch kein Buch über die Spiritualität als solches. 

Es ist vage, unklar, vernebelt.

Wie mein Aufenthalt hier. Ich weiß, warum ich hier bin. Und ich weiß es nicht. Etwas liegt im Nebel. Etwas will erfahren und expliziert werden. Ich hadere mit mir. Ich suche es, und schlendere durch die Gassen. Lissabon liegt selbst im Nebel. Nur die Übereinstimmung von all dem sagt mir, das es richtig ist.

Tom AmarqueComment