Lissabon V
Ich sitze wieder in meinem kleinen portugiesischen Restaurant. Es ist nicht schön, also was das Innendesign angeht. Es ist schön auf andere Weise, es ist ehrlich, authentisch. Man will hier sein, wenn man in Lissabon sein will. Das Essen ist sehr gut. Eine kleine Perle, wenn man es zu nehmen weiß. Während ich auf das Essen warte, denke ich darüber nach, wie unsinnig es es eigentlich ist, sich über das Essen zu beschweren. Was kann man schon daran ändern, das Essen steht ja vor einem? Man kann nur sich selbst und anderen Leuten die Laune verderben. Und sich die Möglichkeit nehmen, hinzuschmecken, selbst wenn es nicht die eigenen Erwartungen erfüllt. Vielleicht mag es sogar die Erwartungen übertreffen, wenn man von seinen Vorstellungen absieht? Sich in Bezug auf serviertes Essen zu beschweren ist in etwa so, wie sich in Bezug auf eine Rose zu beschweren, weil sie nicht so riecht, wie man es will.
Schräg vor mir sitzt ein blonder Kerl, vielleicht Anfang Dreißig. Auf seinem kleinen Tisch hat er seinen Laptop drapiert, ich kann auf seinen Bildschirm sehen. Er scheint was zu programmieren. Er hat Ohrstöpsel im Ohr und fummelt auch noch an seinem Handy rum.
Sein Essen kommt. Erst der Salat, das Brot, dann der Fisch. Er macht keine Anstalten, die Geräte wegzulegen, im Gegenteil. Stattdessen zückt er sein Handy, fotografiert das Essen, und wendet sich dann wieder seinem Computer zu, während er so nebenbei wie unbedacht isst.
Vielleicht bin ich alt geworden. Aber ich frage mich, wozu man das Essen fotografieren sollte, wenn man den Zauber dieses Restaurants nicht in sich aufnehmen kann? Warum man diesen Moment fotografisch für die Erinnerung festhalten oder auf Instagramm posten sollte, wenn man eigentlich gar keine nennenswerte Erfahrung gemacht hat? Er entweiht mir hier meinen Platz, wo ich Mittags hingehe, weil ich von dem Schreiben am Rechner Pause brauche. Ich scheine mit meinen Gedanken allerdings nicht allein zu sein. Ein paar alte Portugiesen mit faltiger, brauner Haut bemerken meinen Blick und machen sich hinter seinem Rücken über ihn lustig. Er scheint es nicht zu bemerken. Programmier‘ ruhig weiter, du Idiot.
„Be here now!“ oder „Be Mindful!“ scheinen mir seltsame Redewendungen. Der Typ könnte sicher argumentieren, dass er jetzt genau hier ist, mit seinem Kram. Wer würde es ihm streitig machen? Aber worum geht es denn dann? Irgendwas scheint der Typ zu suchen, irgendwas erhofft er sich. Wir können nicht vollständig in der Gegenwart leben, dazu sind wir zu zukunftsgerichtete Lebewesen. Stets leben wir auf etwas hin ... und so muss es auch sein. Irgendwas wollen wir ja alle, suchen Weisheit und Liebe und Menschen und Erfüllung. Es scheint alles weit weg. Auch ich halte mich an Kleinigkeiten fest, wie dem Essen und diesem Restaurant hier, weil es wahr ist. Vielleicht streben wir alle schlicht nach Wahrheit.